Geschichte

Die Chronik 2006 - 2015

Ganz im Zeichen des 50-jährigen Jubiläums der Landjugend Wehrheim steht die Jahresmitte von 2005. Gefeiert wird vom 12. bis zum 17. Juli. In Privatquartieren untergebracht sind die internationalen Gäste der Folkloregruppe ‚Sant’Isidoro‘ aus Sardinien und das Ensemble ‚Vagonar‘ aus Poprad in der Slowakei. Auch die kubanischen Musiker von ‚Cohimbre‘ gehören zum Festprogramm.

Die Woche ist gespickt mit Terminen: Besuche in Frankfurt, Bad Homburg, Saalburg, Hessenpark und im Rheingau, ein Empfang im Hessischen Landtag in Wiesbaden. Zudem erinnert eine Ausstellung im Wehrheimer Stadttormuseum an die wechselvolle Geschichte des heimischen Traditionsvereins.

Nach der Open-Air-Veranstaltung auf dem „Oberloh“-Sportplatz, ist der samstägliche Folklore-Abend in der Obernhainer Saalburghalle krönender Höhepunkt. Helmut Michel berichtet aus einem halben Jahrhundert Landjugend, die Abteilungen stellen sich vor, die internationalen Gäste zeigen ihre Programme. Um 15 Uhr am darauffolgenden Sonntag heißt es dann Abschied nehmen.

Die Theatergruppe der Landjugend führt das Publikum in die „Natur pur“.

2006 ist ein Jahr, in dem die Landjugend vieles auf die Beine stellt. Nach Feldrundfahrt und Sonnwendfeier im Juni gerät die „Kubanische Nacht“ am 19. August zum unvergesslichen Erlebnis: Auf dem Hof Köppelwiese zwischen Wehrheim und Obernhain spielt die Band ‚Cohimbre‘ aus Kuba, es werden Cocktails serviert und gegen einen Sprung in den bereitgestellten Pool ist auch nichts einzuwenden.

Kinderkarussell und Marktstände prägen im September den Erntedankmarkt auf dem Rathausplatz – wie immer sorgt ein reichhaltiges Programm für Kurzweil. Im Oktober wird nach längerer Zeit wieder eine Herbstfahrt angeboten: Die Reise geht in den Schwarzwald zu der befreundeten Folkloregruppe „Heimat- und Trachtenbund Bräunlingen“. Besonderer Höhepunkt ist der Besuch des großen alemannischen Trachtenfestes „Kilbig“.

Die Theatergruppen sind in diesem Jahr ebenfalls aktiv. Ein großer Erfolg mit ausverkauften Vorstellungen werden die Aufführungen des „Datterich“ durch die Spielbühne: Gespielt wird nicht nur in Wehrheim, ein Gastspiel führt auch nach Darmstadt, der Heimstatt des Niebergall-Titelhelden. Die Theatergruppe zeigt „Immer dieser Vollmond“, zum Jubiläum der Evangelischen Kirchengemeinde wird die Szenenfolge „Wehrheimer Kirchbau“ im Gotteshaus aufgeführt.

Am 17. November veranstalten Landjugend und Geschichtsverein den ersten Wehrheimer Mundartabend. Hermann Groß aus Falkenstein hat ein Programm unter dem Titel „Macht mer kaa Fisimatente“ zusammengestellt, die Volkstänzer tanzen, die Spielbühne spielt – und am Ende geben Wehrheimer Persönlichkeiten Anekdoten zum Besten. Ein Diskussionsabend im Gemeindehaus widmet sich am 30. November dem Thema „Jugend auf dem Lande – was bewegt?“, die Moderation übernimmt Ursula Buchenauer, Regionalplanerin aus Marburg.

Eine Fachfahrt nach Oberösterreich eröffnet den Jahresreigen 2007. Traditionelle Veranstaltungen zuhauf: Feldrundfahrt und Sonnwendfeier, Erntedankmarkt (mit Fotowettbewerb) und Herbstausflug (in den Pfälzer Wald). Die Theater-Leute servieren „Viele Grüße aus Mallorca“ und „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“.

Bevor ein weiterer Mundartabend über die Bühne geht (dieses Mal mit „Babbelschnut“ Gerd Grein), besuchen Gäste aus Oberösterreich die Landjugend in Wehrheim. Der Vorstand beschließt, dass Polo-Shirts mit Laju-Wappen und –Schriftzug angeschafft werden – in denen sogar die Freizeitfußballer ihr obligatorisches Turnier in der heimischen Sporthalle bestreiten.

Wie so oft, organisiert der Verein die Kinderfaschingsveranstaltung
in Wehrheims guter Stube, dem Bürgerhaus. Es ist das Jahr 2008 – und die langjährige Vorsitzende Carmen Velte-Hammen beendet ihr Engagement an der Spitze. Zur neuen Landjugend-Chefin wird Nicole Diehl gewählt – Norbert Hartmann unterstützt die neue Kraft als stellvertretender Vorsitzender.

Im September führt eine Schiffstour ins malerische Würzburg, im Rahmen der Abschlusswanderung wird der Herzberg erklommen. Gemeinsam mit dem Verein der landwirtschaftlichen Fachschulabsolventen organisiert die Landjugend die in Usingen abgehaltene Kreismeisterschaft im Wettpflügen.

Auch künstlerisch herrscht Hochbetrieb: Während die Theatergruppe „Gute Besserung“ wünscht, setzt die Spielbühne mit „Kesselflickers Hochzeit“ ihre John Millington Synge-Inszenierungen fort. Der Hessenpark als Aufführungsort gehört mittlerweile fest ins Programm. Die Männer der Volkstanzgruppe bekommen eine neue Kniebundhose aus Wildbockleder spendiert – was die Darbietungen noch schmissiger macht.

Ein schwerer Verlust ereilt den Verein am 24. Mai 2009: Helmut Michel der die Landjugend Wehrheim 1955 mitbegründet und sich 27 Jahre als Vorsitzender auf unvergleichliche Weise engagiert hat, verstirbt an diesem Tag. Wie kein Zweiter hat er den Verein durch seine wechselvolle Geschichte gesteuert und Maßstäbe gesetzt, die bis heute Bestand haben. Vieles hat Helmut Michel angestoßen – als Beispiel seien hier nur die über die Landesgrenzen hinaus bekannten Internationalen Folklorefestivals genannt.

Eine Schweden-Reise gehört zum Programm diesen Jahres. Während die üblichen Veranstaltungen für Konstanz und Stabilität sorgen, heißt es bei der Spielbühne „Bleiwe losse!“. Die Theaterfolge von Wolfgang Deichsel wird auch während des Mundart-Thementages im Hessenpark dargeboten. Das Rathaus-Fest im Juli wird handfest mitgestaltet: Die Landjugend versorgt die Gäste mit Erfrischungen, Tanzsportfreunde und Volkstänzer bieten nach dem Gottesdienst am Sonntagmorgen Vorführungen auf dem „Roten Platz“.

Die Theatergruppe der Landjugend zeigt sich im Bürgerhaus als „Zwei wie Hund und Katz“.

In 2010 feiert die Hessische Landjugend ihr 60-jähriges Bestehen – zum Thema wird mit den angeschlossenen Ortsvereinen ein Film inszeniert. Seit 25 Jahren besteht die Theatergruppe: Ihr Stück „Die Bürgermeisterwahl“ gibt es zum Jubiläum. Neues bricht sich ebenfalls Bahn – im September wird ein Jugendtheaterensemble aus der Taufe gehoben (‚JungKreativ‘ so der künftige Name).

Obwohl die Fußball-Weltmeisterschaft über alle Kanäle tobt, ist die Sonnwendfeier mit ‚Funk Appeal‘ bestens besucht. Während des traditionellen Erntemarktes musiziert die kubanische Band ‚Cohimbre‘ – mittlerweile gute Freunde im Wehrheimer Geschehen. Die Landesgartenschau findet in diesem Jahr in Bad Nauheim statt: Die Landjugend beteiligt sich im Rahmen der Trachtenausstellung mit einem Stand und Tänzen der verschiedenen Volkstanzgruppen.

Das 150-jährige Bestehen der Turn- und Sportgemeinde Wehrheim bindet in 2011 einige Kräfte. Theaterspieler aus dem ganzen Verein präsentieren während des großen Jubiläumsabends am 6. August einprägsame Szenen aus der Turn-Historie im Festzelt auf dem Oberloh. Zum 200. Todestag von Heinrich von Kleist nimmt die Spielbühne ihr vor vielen Jahren schon einmal gezeigtes Luststück „Der zerbrochne Krug“ wieder ins Programm – erstmals in Kooperation mit der befreundeten Theatergruppe Friedrichsdorf. Gespielt wird im Hessenpark, in Neu-Anspach, Bad Homburg und Wehrheim.

Die Theatergruppe der Landjugend strapaziert die Lachmuskeln des Publikums mit „Der Sauna Gigolo“.

Premiere in 2012: Das erste Theaterstück von JungKreativ heißt „Erbe, wem Erbe gebührt“. Im Juli heißt es „Musica Cubana“ – ‚Cohimbre‘ heizt ein in Wehrheims neuer „Mitte“. Eine Veränderung ereignet sich beim altbewährten Erntedankmarkt: Zum ersten Mal wird er an einem Sonntag veranstaltet, ein Gottesdienst ist seitdem stimmungsvoller Beginn. Es kommt die Idee auf, alte Trachten zu sammeln – das Vorhaben wird tatkräftig von den früheren, noch immer sehr aktiven Tänzerinnen und Tänzern der Volkstanzgruppe unterstützt.

Fest etabliert ist der Mundartabend, den in diesem Jahr das Duo ‚Rezzi Babbel‘ in unnachahmlicher Weise bestreiten – die Stimmung in den Räumen der Tanzschule darf „überschwänglich“ genannt werden. Die Jahresabschlusswanderung hat die im tiefen Wald gelegene Kapersburg zum winterlichen Ziel.

 

Eine dänische Volkstanzgruppe kommt am 18. Mai 2013 ins Bürgerhaus von Wehrheim – geboten wird Folklore vom Feinsten. Ein weiteres Erlebnis ist das 46. Hessische Volkstanzturnier, das am 30. November in der Obernhainer Saalburghalle organisiert wird. Am Start sind 6 Gruppen aus dem ganzen Bundesland.

Der Erntedankmarkt am 6. Oktober erfährt eine weitere Bereicherung als „verkaufsoffener Sonntag“ in Wehrheim. Im Dezember bietet Norbert Hartmann den Kurs „Hexenhäuschen basteln“ an.

Zum neuen Stück von JungKreativ stellen sich im April rund 400 Besucher im Bühnensaal ein. Im Herbst bietet die Theatergruppe „Betreutes Wohnen“. Zur selben Zeit führt die Spielbühne zwei längere Einakter auf: „Die Nacht vor der Verhandlung“ von Tschechow sowie „Die Nebelschlucht“ von John M. Synge – das Ganze wird umrahmt von den irischen Melodien der neu ins Leben gerufenen ‚Shadows of the Glen“, einer von Gerd Lübke geleiteten Formation.

Mit dem von der Landjugend ausgerichteten Kinderfasching beginnt das Jahresprogramm von 2014. Die Sonnwendfeier am 28. Juni hat wegen des regnerischen Wetters wenig Besucher, das Konzert von Bernd Schütz muss sogar ausfallen. Dafür entschädigt der immerhin schon 25. Erntedankmarkt am 5. Oktober – Seiltänzer zeigen ihr Können unter einem leuchtenden Himmelszelt. Der Beginn der Ortspartnerschaft Wehrheim/Werischwar jährt sich in diesem Jahr zum 30. Mal – treibende Kraft der Kooperation war seinerzeit Alt-Bürgermeister und Landjugend-Begründer Helmut Michel. In guter Erinnerung sind die frühen Fahrten ins Land der Ungarn, wo Volkstänzer, Musikanten und Theaterleute auf begeisterte Gastgeber trafen.

Im Herbst brechen für die Theatergruppe der Landjugend „Saure Zeiten – Sturm im Gurkenglas“ an.

Zu einem weiteren Mundartabend kommt Hermann Groß, der bereits die Premiere des mittlerweile eingeführten Veranstaltungsformats gestaltete, nach Wehrheim. Eine Auswahl alter Trachten wird im Alten Rathaus untergebracht – der neue Landjugend-Raum ist zugleich Ausstellungsfläche für Kostbarkeiten aus sechs Jahrzehnten Landjugend-Historie.

Die Chronik 1955 - 2005 (50 jaehriges Jubilaeum)

Der 3. März 1955 wird zu einem folgenreichen Datum in der Geschichte Wehrheims. An diesem Tag heben 16 junge Landwirte im Gasthaus „Zum Taunus“ die ortsansässige LANDJUGEND aus der Taufe – einmalig im damaligen Altkreis Usingen. Mit ihrer Unterschrift stehen für das Unternehmen ein: Albert Allendörfer, Fritz Weber, Ferdinand Löer, Ewald Sorg, Arnold Velte, Erwin Allendörfer, Helmut Michel, Günter Allendörfer, Gerhard Bender, Helmut Braum, Erich Kolaß, Julius May, Robert Werner, Robert Weber, Erhard Kolaß und Fritz Pinnow. Wichtigen Anteil an dieser Gründung haben die Lehrkräfte der Landvolkhochschule Friedrichsdorf und der Landwirtschaftsschule Usingen, sie fördern das Engagement der jugendlichen Dorfbewohner und gelten als Vorbilder. Im westlichen Deutschland gibt es in diesen Jahren viele Landjugendgruppen eine Reaktion auf die wachsende Kluft zwischen Stadt und Land. Die selbstbewusste Zielsetzung der Wehrheimer spricht für sich:

 

Wir sind eine freie, politisch unabhängige, überkonfessionelle Vereinigung junger Menschen auf dem Lande. Wir erstreben die staatsbürgerliche, berufliche und kulturelle Förderung und Weiterbildung der Landjugend. Wir bejahen eine christliche Grundhaltung und Stellungnahme zu den Fragen des Lebens. Praktischer Um gang und ständige Übung mit den Spielregeln der Demokratie sind uns vornehmste Aufgabe. Unser Ziel ist die Persönlichkeit, die sich über alle Dinge eine eigene Meinung bilden kann, und die fähig ist, diese Meinung in der Gesellschaft zu vertreten.

Das Dorf und seine Bewohner aber bleiben Mittelpunkt allen Strebens, man formuliert: Verminderung der Gegensätze zwischen Stadt und Land – besondere Pflege der Dorfgemeinschaft – Pflege des alten und neuen Kulturgutes – die Vermittlung von Bildung – das berufliche Lernen und die Pflege einer sinnvollen Freizeitgestaltung durch Geselligkeit, Tanzen, Spielen, Musizieren, Basteln.

Das erste Erntedankfest wird im Oktober veranstaltet. Feierlicher Höhepunkt ist die Weihe der eigenen Fahne, die von den weiblichen Mitgliedern unter Anleitung von Margot Mewes hergestellt wird. Die Fahne ist in Grün und Gold gehalten und symbolisiert damit den Weg von der Saat zur Ernte – es werden die Farben sein, unter denen die Landjugend durch die Jahrzehnte schreitet. Helmut Michel, einer der treibenden Kräfte, läßt aus seinem „Jungbauernlied“ schließlich das „Landjugendlied“ erwachsen:

Wir, die Jugend auf dem Lande,

stehn zusammen Hand in Hand.

Uns umfaßt ein festes Bande,

das ist überall bekannt.

Blühe weiter

und gedeihe

freies junges Volk vom Land.

Einigkeit ins Dorf zu bringen,

das sei unser erstes Ziel.

Darum wollen wir Lieder singen,

uns versammeln oft und viel.

Freundschaft stärke

unsere Arbeit

frei und froh sei unser Spiel.

Goldne Ähren unsre Wonne,

soll`n in unsrer Fahne stehn.

Golden leuchte uns die Sonne,

wenn wir in die Zukunft sehn.

Blühe weiter

und gedeihe

freies junges Volk vom Lande.

Die Jugendlichen widmen sich von Beginn an dem Volkstanz, dem Laienspiel, der beruflichen und politischen Weiterbildung, dem Musizieren und Basteln – später werden aus diesen Interessenkreisen die verschiedenen Abteilungen erwachsen.

 

 

Prägend wirken in der Gründungszeit Gerhard und Hildegard Bender für den Volkstanz, Sophie Bornscheuer, geborene Werner, als Kreisjugendwartin, Paul Erich Etzel für die landwirtschaftlichen Belange sowie Lothar Pauli als Geschäftsführer. Nicht nur bäuerliche Themen will man behandeln, auch gesellschaftliche Fragen rücken in den Blick. Dies zeigt sich deutlich an den Seminaren, die im Laufe der Jahre organisiert werden: „Die Landwirtschaft im Kraftfeld der Industrie“ (als erstes Seminar und zugleich voraus weisendes Motto), „Gefährdete Jugend“, „Lebendige Demokratie“, „Ist unsere Jugendarbeit noch zeitgemäß?“ (im Jahre 1968!), „Die neue Gesellschaft“, „Muß Krieg sein?“. Der erste Vorsitzende ist Fritz Weber, 1956 folgt Werner Störkel, dann leitet ab 1957 der bisherige Geschäftsführer Helmut Michel die Geschäfte.

Die überregionale Bühne betritt die Landjugend 1958: beim musisch-kulturellen Vergleich der Südhessischen Gruppen in Rodheim werden die Leistungen von Volkstanz und Theater mit ersten Preisen belohnt. Die ausgezeichnete Humoreske „Der Gänsebraten“ stammt aus der Feder von Helmut Michel. Im Sommer bietet man einen Schwimmlehrgang bei Bademeister Redmer an und veranstaltet das Erste Vergleichsfliegen von Segel- und Motorflugzeugmodellen an der Pfarrmühle. Der Volksbildungskreis wird gegründet, um uns einen Kreis von Erwachsenen als Stütze und Hinterhalt zu verschaffen, bestehend aus ehemaligen Landjugendmitgliedern und Landjugendeltern. Und im Jahre darauf nimmt man schon mit Musik und Tanz an der DLG in Frankfurt teil – in einer eigens angeschafften Tracht. Nach einer erfolgreichen Bewerbung ist man froh, als ausgewählte Gruppe auf dem Messegelände sein Können zu zeigen. Damals kommen 53 aktive Mitglieder aus Wehrheim, 7 aus Westerfeld. Aus der bäuerlichen Jugend stammen 46% aller Mitglieder, 54% aus Arbeiter-, Beamten- und Handwerker-Familien.

1959 kommt es zu einer Neuheit: das große Leistungsturnen in der Volksschule wird ein voller Erfolg. Vier Riegen nehmen teil – was die Sportgemeinschaft der TSG Wehrheim sehr beunruhigt, man wittert ungeliebte Konkurrenz. Besonders die Kinder werden gefördert, Lehrer Otto Henrici leitet die neue Turnabteilung. Schließlich verbietet die TSG weitere Turnhallenbenutzung, der Vereinsraum im Schulgebäude wird zum Ausweichquartier. Im August führt der erste Feldrundgang unter der Regie von Ringberater Böhm und Ortslandwirt Fritz Sorg in die Gemarkung.

Und im Mai kommt es schon zur ersten internationalen Begegnung: zusammen mit einer Luxemburger Jugendgruppe gestaltet man einen kulturellen Abend im Gasthaus „Zur Linde“. Wie die Jahre zuvor bereichern die Theaterleute das Erntedankfest, diesmal mit dem großen Tolstoi-Stück „Wovon die Menschen leben“. Schon 1958 wurde Tolstoi mit Erfolg gespielt: „So viel Erde braucht der Mensch“. Als Proben- und Aufführungsraum steht der Bühnensaal des „Taunus“ zur Verfügung.

In 1960 stellen sich neue Herausforderungen, nicht nur auf dem Dorf. Die Landjugend antwortet darauf mit Tatkraft. Feierlich begehen die 140 Mitglieder das fünfjährige Bestehen mit einem Unterhaltungsprogramm aller Abteilungen. Musikalisch begleitet die eigene Kapelle „Spotlights“ viele Veranstaltungen: es spielen Martin Christ, Karl Heinz Butter weck, Otto Glogau, Karl Korn und Richard Baschke. Als Reaktion auf den Volksaufstand in der DDR und zur Erinnerung an die Deutsche Einheit ziehen Landjugend, die TSG und katholische Jugend im Juni mit Fackeln auf den Bügel und entzünden ein Mahnfeuer.

Endlich wird auch der langersehnte Gruppenraum bezogen: man renoviert bei Greta Lang im Obernhainer Weg einen ehemaligen Kuhstall mit angrenzender Scheune. Höhepunkt des Herbstes ist die Darbietung des „Zerbrochnen Kruges“ nach Heinrich von Kleist.

Im Jahr darauf trifft sich die Deutsche Landjugend in Ravensburg – die Wehrheimer sind dabei und zeigen ihr Programm. 1962 führt Edwin Seng für ein Jahr die Gruppe, danach bleibt Helmut Michel bis 1985 an der Spitze. Mit der 62er Auslandsfahrt, Dänemark und Schweden werden besucht, beginnen die großen und berühmten Reisen der Landjugend. Angeregt vom Landesverband, der auch einen Zuschuss beisteuert, wagt man sich mit 40 Teilnehmern in die fremden Länder (zwei Jahre später geht es sogar bis nach Finnland). Die Tanzgruppe nimmt 1963 erstmals am Hessentag teil und seitdem regelmäßig.

Immer wichtiger wird der Austausch mit anderen Landjugendgruppen, zuerst sucht man in Deutschland Kontakte. Eine Abordnung aus Barmstedt bei Elmshorn besucht im Juni 1964 das Taunusdorf. In der Folge nehmen die Treffen stetig zu, Freundschaften entstehen, und man läßt sich vom Gedanken der Völkerverständigung leiten. Diese gelebte Demokratie ist für das Wehrheim der 60er Jahre eine einzigartige Sache.

Die Landjugendgruppe Wehrheim hat sich aus kleinen Anfängen heraus heute nach 10 Jahren zu einer bedeutenden Gruppe weiterentwickelt, die weit über die Grenzen unserer engen Heimat hinaus bekanntgeworden ist„, formuliert Bürgermeister Richard Wagner zum ersten runden Jubiläum, das im Mai 1965 mit einer Feierstunde in der Volksschule und mit einem Ball im Saal der „Lochmühle“ begangen wird. Neben dem Vorsitzenden Michel gehören Edwin Seng (Stellvertreter), Reinhard Brötz (Geschäftsführer) und Helmut Allendörfer (Kassenwart) dem Vorstand an, dazu noch alle Abteilungsleiter: Gerd Velte (Volkstanz), Mathias Kossatz (Musik), Hans Norbert Schmitz (Laienspiel), Heinz Hisserich (Basteln und Werken), Volkmar Sakschewski (Sport und Spiel), Brigitte Grieser (Mädchenkreis) und Karl Friedrich Kolaß (Berufliche Bildung). Die Landjugend hat 157 Mitglieder. Da kann Kreisjugendpfleger Götz Haenisch zufrieden ausrufen: „Der Idealismus der Gründer hat sich gelohnt“.

Die Sommerfahrt führt nach Digne in die Provence. Zu dieser Gruppenbegeg-nung werden dreißig geeignete Jugendliche ausgewählt. Zum Rahmenprogramm gehören der tägliche Sprachunterricht sowie die Diskussionsrunden zum Verhältnis von Frankreich und Deutschland.

 

Mit neuen Kleidern präsentiert sich 1966 die Volkstanzgruppe: es ist die Alt-Nassauer-Tracht, welche nach alten Vorlagen gearbeitet ist. Sie wurde um 1800 in den Dörfern des Hohen Taunus getragen und unterschied farblich die Konfessions-Zugehörigkeit: für die Katholiken ein Hellblau-Gelb-Rot, für die Protestanten ein Grün-Braun-Schwarz. Ein Jahr später verabschieden die Mitglieder die erste Landjugend-Satzung – und freuen sich über die starke Volkstanz-Resonanz. Unter der fachlichen Leitung von Heide Strauß können zwei Tanzgruppen aufgeboten werden. Die acht Paare bilden die repräsentativste Abteilung und können bei vielen Auftritten brillieren.

1968 beginnt mit der Landwirtschaftlichen Woche, die zum ersten Mal veranstaltet wird und für lange Jahre in Wehrheim ihren Stellenwert hat. Neben Besichtigungen und Vorführungen gehören auch Vorträge und Bildungsangebote zum Programm. Während der unvergessenen Nordlandfahrt erleben 33 Busreisende die Schönheiten Dänemarks, Schwedens und Norwegens. In der Jahresstatistik ist zu lesen: 167 Mitglieder kommen aus Wehrheim und 48 aus Nachbardörfern, davon sind 78 weiblich und 137 männlich. 177 Mitglieder sind evangelisch, 38 katholisch. 57% sind im Alter zwischen 14 und 21 Jahren. Als Motto darf gelten: Den Mitgliedern müssen immer wieder neue Ziele gesetzt werden, wenn es ihnen in der Gruppe gefallen soll.

Ein bewegendes Erlebnis ereignet sich im Mai 1969 und wird zum Auslöser weitreichender Entscheidungen. Auf der Rückreise vom Internationalen Folklorefestival in Domfront schließt sich der Wehrheimer Gruppe das Tschechoslowakische Nation alensemble „Jasenkas“ an und fährt mit in den Taunus. Hier zeigen sie ihr Programm und sind bei Wehrheimer Familien einquartiert. Der Aufenthalt des osteuropäischen Ensembles ist eine Sensation und von großer Begeisterung getragen. Schnell ist die Idee zu einem eigenen Festival geboren.

Durch die Kontakte der Hessischen Landjugend, später der CIOFF als internationalem Veranstalter, hat man Möglichkeiten zur Teilnahme an Folklorefesten in nah und fern. Die Wehrheimer haben einen guten Ruf, sind nicht nur sehr rege, sondern auch auf der Höhe ihrer Tanzkunst. Gerne nehmen die Jugendlichen die Gelegenheiten des Reisens wahr: man hat wenig Geld, meist auch kein Automobil, ist aber für neue Erfahrungen stets aufgeschlossen.
Das siebte Jahrzehnt beginnt mit einem Abschied und einem furiosen Auftakt. Verabschiedet wird der traditionelle Frühlingsball, welcher stets im Saal des Hotels „Lochmühle“ gefeiert wurde und nun zum letzten Mal stattfindet. Benachbarte Gruppen trafen sich hier zu einer Tanzveranstaltung, die auch als Heiratsmarkt beliebt war. Währenddessen arbeiten die Ausschüsse für das erste „Internationale Folklore- und Schützenfest“ auf Hochtouren. Die Mitglieder der Landjugend und des Schützenvereins Diana bemühen sich bereits seit vielen Monaten um Organisation und Gestaltung dieses Großereignisses.

Erstmals in der Wehrheimer Vereinsgeschichte veranstalten zwei Vereine ein Fest gemeinsam. Erstmals hat ein Wehrheimer Fest einen solchen internationalen Rahmen. Erstmals richten die Vereine des Wehrheimer Vereinsringes in dieser Form ein Fest aus, so Fritz Emmerich und Helmut Michel, die beiden Vorsitzenden der ausrichtenden Vereine. Verbunden ist das Fest mit politischen Wünschen: „Auf dem

Wege nach Europa“, „Völkerverständigung – eine Aufgabe der jungen Generation“ sind die Themen der öffentlichen Diskussionsveranstaltungen. Im Rathaus ist in diesen Tagen eine „EWG-Wanderausstellung“ zu sehen.

Am Montag, den 3. August 1970, ist es soweit: die ersten Gastgruppen kommen in Wehrheim an. Nach und nach versammeln sich die schwedische Gruppe aus Gotland, die Trachtengruppe Lustenau/Österreich, „Frairie des Masuis et Cotelis Jambois“ aus Belgien, die Landjugend aus dem oberbayerischen Birkland, „Vierländer Speeldeel“ aus Hamburg, die Finnen aus Mietoinen und das armenische Ensemble „Navasart“ aus Paris. Die Gäste werden privat untergebracht – in Wehrheim, Anspach, Westerfeld, Pfaffenwiesbach und Usingen stellen Familien ihre Räume und 216 Betten zur Verfügung, was dem Fest ein unverwechselbares Flair gibt. Freundschaften entstehen, die Idee einerinternationalen Begegnung wird mit Leben gefüllt.

Nicht immer verliefen die Vorbereitungen zwischen der fortschrittlichen Landjugend und den alteingesessenen Schützen reibungslos, am Ende aber liegen sich alle in den Armen: die Eindrücke im Festzelt auf der „Niederwies“ sind überwältigend. Die aktiven Mitglieder beider Vereine arbeiten mit vollem Einsatz – und werden belohnt. Über zehntausend Besucher begleiten das Fest. Beim sonntäglichen Festzug mit über 40 Zugnummern sind die Straßen Wehrheims von Schaulustigen gefüllt. Nach diesem ersten Festival hat sich die Landjugend in ihrer Heimatgemeinde endgültig durchgesetzt und sich als wichtige Kulturgemeinschaft etabliert. Im Schwung der Begeisterung entsteht die „Offene Jugendarbeit“, welche alle Jugendlichen der Gemeinde anspricht, ihnen Freizeit- und Gestaltungsmöglichkeiten bietet, jedoch keinerlei Verpflichtungen fordert.

Der Oktober sieht das letzte Erntedankfest im Gasthof „Zum Taunus“. Hier hat die Gruppe ihre ersten Erfolge, hier wurden Tanz und Theater begründet – man nimmt schweren Herzens Abschied von dieser Keimzelle, wo der Saalbereich immer mehr verkleinert wurde und nun keine Bleibe mehr bietet.

1971 gestaltet man den Erntedank in der Stadthalle von Usingen. Gemeinsam organisieren der Landfrauenverband, die landwirtschaftliche Abteilung der Landjugend und der Kreisbauernverband die vierte „Landwirtschaftliche Woche“. Eines der Referate heißt „Die Agrarpolitik der EWG und ihre Auswirkung“ und „eine bewusst auf Schrumpfung abgestellte Landwirtschaftspolitik unserer Regierung“ ist zu beklagen. In der Eschbacher Mehrzweckhalle spielt zum Abschluss die vereinseigene Kapelle „Firestones“ zum Tanz auf. Die erste Kindertanzgruppe, eine Neuheit im Taunus, wird im November gegründet. Fast dreißig Kinder treffen sich in der Schulturnhalle, und Heide Strauß leitet mit Begeisterung das Training. Eine Sing- und Musikgruppe für Kinder kommt 1972 hinzu, und die Erwachsenen fahren im Sommer erstmals auf Einladung der Volkstanzgruppe „När-Lau“ nach Gotland. Als neue Mitglieder kann man die Wehrheimer Vogelschützer begrüßen, deren Leiter Günter Bohris in den folgenden Jahren engagierte Arbeit leisten wird. Von nun an sind auch Naturschutz und Lagerfeuerromantik im Angebot.

Das Jahr 1973 steht ganz im Zeichen des „2. Internationalen Folklore- und Schützenfestes“. Hierzu werden wiederum alle Kräfte gebündelt, die Vorbereitungen haben sich über anderthalb Jahre hingezogen, man will am bewährten Konzept von 1970 festhalten. Und wieder strömen die Zuschauer zum Festplatz auf der Niederwies, wieder ist die Stimmung einzigartig. Während sich die Bevölkerung beim Preisschießen im „Frankfurter Hof“ amüsiert, bereisen die Gastgruppen den Rhein und besichtigen Mainz und Rüdesheim. Nach dem Empfang durch Landrat Herr im Homburger Kurhaus, geht es hinauf zum Sportfeld Oberloh, wo das Festival feierlich eröffnet wird. An den drei Zeltabenden präsentieren sich dem Publikum: das armenische Ensemble „Navasart“ aus Frankreich, „Vierländer Speeldeel“ aus Hamburg, „Os Camponeses“ aus Portugal, die Österreicher aus Lustenau, „Young Farmers“ aus Schottland, die schwedische Gruppe „När-Lau“ sowie der Trachten bund Bräunlingen/Schwarzwald. Am Frühschoppen-Montag wird der Abend von allen Teilnehmern bestritten – ein würdiger und anrührender Kehraus. Zugleich auch eine Bekräftigung dessen, was die 2. Vorsitzende Heide Strauss als unser Grundgedanke formuliert:Folklore ist ein Aufruf zur Toleranz!

Die Auftritte und Einladungen reißen auch im folgenden Jahr nicht ab. Zu den Eröffnungen von „Freizeitpark Lochmühle“ und Jugendherberge Oberreifenberg zeigen die Volkstanz-Paare ihr Programm.

Im Februar 1975 wird erstmals ein Haushaltsplan in der Jahreshauptver-sammlung beschlossen. Die Einnahmen der Festivals müssen verwaltet werden das Geld soll den verschiedenen Abteilungen zugute kommen. Mit einem launigen Wochenende feiert man im Mai das 20jährige Jubiläum.

Die Abteilungen Volkstanz, Singen, Musizieren, Theater, Volksbildung, Vogelschutz, Jugendarbeit und Berufsbildung stellen sich vor. Aus München ist die russische Folkloregruppe „Balalajka“ angereist, dazu verköstigt die Festgemeinde im Esch-bacher Bürgerhaus acht Rheingauer Weine. Wehrheims Bürgermeister Richard Wagner betont: Die Gemeinde wird auch in Zukunft der Landjugend jegliche Unterstützung zuteil werden lassen. Derweil hoffen die 464 Mitglieder auf den Baubeginn eines Bürgerhauses in Wehrheim – die Raumnot ist mittlerweile unerträglich geworden.

Im Frühjahr 1976 hat sich der Hes-sische Rundfunk angemeldet und berichtet in seiner Hörfunk-Sendung „Der Landbote“ über die Arbeit der Landjugend. Es ist ein Vorgriff auf das 3. Internationale Fest im August: in den Taunus kommen die Dubliner „O`Toole Group“, aus Domfront „Le Trou Normand“, „Engerdalsringen“ aus Norwegen, die portugiesische „Os Camponeses“, aus Hattert die Westerwälder Trachtengruppe, die Tanzgruppe aus dem hessischen Speckswinkel sowie das legendäre Ensemble „Oltul“ aus Stoicanesti/Rumänien.

Während der Woche ziehen siebzehntausend Besucher durch das Dorf, das 3000er Festzelt ist immer wohl gefüllt. Schon am Freitag startet man mit dem Programm – der akademische Teil ist stark reduziert. Erstmals prägen die jungen Kräfte aus der „Offenen Jugendarbeit“ das Geschehen und engagieren sich beispielhaft. Sie folgen dem Gedanken von Irene Blanke: Der menschliche Umgang sollte hier an erster Stelle stehen, wir wollten jedem einzelnen Mitglied in den Gruppen das Gefühl vermitteln, dass es hier willkommen ist, dass die politische Ansicht unwesentlich ist.

Ein Jahr voller Mühe und starker Eindrücke neigt sich dem Ende, man erholt sich im Dezember auf einer Skifreizeit im norwegischen Engerdal.

10 Jahre Landwirtschaftliche Woche: im Januar 1977 spannt sich der Bogen vom „Ball der Landwirtschaft“ bis zum Rückblick auf „Die Landwirtschaft im Usinger Land“. Auch Freiherr von Heeremann, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, kommt und referiert vor über 600 Besuchern zu den aktuellen Fragen der Agrarpolitik. Der allererste Kinderfasching der Landjugend fällt ebenfalls in dieses Jahr. Eine weitere Neuheit im schönen Mai: die Naturschutzwoche wird aus der Taufe gehoben. Über Pfingsten (eine weitere der berühmten Städtefahrten) reist eine Busladung Wehrheimer für vier Tage nach Paris. Gerade in den 70er und 80er Jahren gelten diese Kurzreisen als Geheimtip – es kommt tatsächlich oft zu unerhörten Begebenheiten. „Mach mit – wir spielen Theater“ heißt ein fröhlicher Wettbewerb der Theatergruppe im November.

Im März des kommenden Jahres gründen TSG und Landjugend die Tanzsportfreunde Wehrheim, welche mit sechzehn Paaren an den Start gehen. Schnell entwickelt die Abteilung ihr eigenes Profil, arbeitet weitgehend selbständig und organisiert Turniere, nimmt an Meisterschaften teil. In den folgenden Jahren richten die Tanzsportler regelmäßig die Osterbälle aus. Die Pfingsttage verbringen vierzig Unerschrockene in Amsterdam. Während der unvergesslichen 1. Wehrheimer Woche im Juli wird Programm gemacht und ein „Stadttorcafé“ aufgebaut. Im Herbst tanzt die Folkloregruppe zur Eröffnung des Hessenparks und nimmt am Erntedankfest im Frankfurter Palmengarten teil. Gut besuchte Bastelkurse beschließen das Jahr.

In Cölbe gründet sich 1979 die CIOFF Deutschland – für die Landjugend ein wichtiger Partner bei internationalen Begegnungen. Der Hauptausschuß beginnt im April seine Arbeit zur Ausrichtung des vierten Festivals. Zu Pfingsten geht es nach Paris, im Sommer nach Liiti in Finnland und im Schnee nach Andermatt, Schweiz.

1980 begeht die Landjugend ihr 25jähriges Bestehen an einem Wochenende im Mai. Den Festabend gestalten die verschiedenen Abteilungen, die Volkstanzgruppe aus Heppenheim, die Kapelle der Musikschule Werner und der alte Weggefährte Fritz Lenz vom „Fröhlichen Kreis“ Cölbe. Eine umfangreiche Ausstellung mit Fotografien, Trachten und Gastgeschenken gibt Einblicke in die Historie. Zum Vorstand gehören Helmut Michel, Matthias Stracke, Heinz Erwin Langenbächer, Jürgen Etzel, Beate Etzel, Norbert Jäger, Heidi Allendörfer, Manfred Jung, Jörg Aigner, Roman Becker, Regine Stowasser, Günter Bohris, Willi Wulf Staehr, Simone Berndt, Dagmar Hoffmeister und Gerhard Dollinger. Sie sind verantwortlich für 529 Mitglieder.

Das internationale Folklore- und Schützenfest ist zu einem festen Bestandteil des kulturellen Gemeindelebens geworden. Es ist aus Wehrheim nicht mehr wegzudenken, schreibt Bürgermeister Josef König und leitet damit die 4. Festivalwoche ein. Mittlerweile ist das Duo Michel/Emmerich ein eingespieltes Team – seit zehn Jahren arbeiten sie im Dienste der Sache. Wieder arbeiten die Ausschüsse rund um die Uhr und realisieren Finanzen, Programm, Wirtschaft, Presse & Werbung, Bautätigkeiten, Dekoration und Quartiere. Anfang August begrüßt man die Tänzerinnen und Tänzer, die Musiker und Sänger aus Grangemouth/Schottland, aus Bulgarien, aus Bulle/Schweiz, aus dem finnischen Mietoinen, dem französischen Domfront, aus Bräunlingen im Schwarzwald, aus Scheessel in der Lüneburger Heide. Alte Freunde sind darunter: die Finnen, Franzosen und Bräunlinger. Während zweier Abende im Bürgerhaus sind Gäste und Gastfamilien unter sich, die Bande werden bei einer Weinprobe enger gezurrt. Die Theatergruppe inszeniert einen „Räuberfang auf der Lochmühle“. Offizielle Eröffnung ist jedoch das „Lichterfest“ im Wehrheimer Freibad, wo Leuchtfeuer und Wasserspiele für Aufsehen und Staunen sorgen. Volkstümlich und ausgelassen präsentieren sich auch die Wettkämpfe beim „Spiel über Grenzen“, das nahe Rathaus erbebt von Anfeuerungsrufen und prasselndem Applaus. Wieder bewährt sich die Auswahl der Gastgruppen verschiedene Temperamente sind zu bestaunen, Kulturen aus vielen Weltteilen. Ein Sprachengemisch: die westliche Welt trifft mit den Osteuropäern zusammen, Respekt und Herzlichkeit bestimmen die Festwoche. Neben dem Festzelt am Bürgerhaus richten die Gastgruppen einen „Internationalen Folklorebazar“ aus, ein Kinderfest sorgt bei den Jüngsten für Kurzweil. Immer größer und beliebter ist das Festival geworden, auch die heimische Bevölkerung hilft nach Kräften: 170 Gäste kommen in Wehrheimer Familien unter, 35 in Pfaffenwiesbach, 28 in Usingen, 25 in Obernhain und 20 in Neu-Anspach. Ebenso erfreulich ist der Einstieg von Günter Werner, dessen Musikschule die Volkstanzgruppe bei ihren Auftritten fortan maßgeblich unterstützt.

Während des Jahresabschlußfestes unterhalten sich die Mitglieder beim „Mach mit“-Quiz, die Erlöse von Versteigerung und Verlosung kommen italienischen Erdbebenopfern zugute.

Die Landjugend verzeichnet in diesem Jahr 38 Neu-Mitglieder, einen personellen Zuwachs bei den Volkstänzern (obwohl die vier Anspacher Paare ausscheiden und einen eigenen Verein gründen). Seminare nd Lehrgänge, Fahrten und Ausflüge sind mit weit über hundert Teilnehmern sehr gut belegt. Nicht zuletzt entsteht aufgrund der Festival-Einnahmen und der Zuschüsse des Hochtaunuskreises eine neue finanzielle Situation.

 

Die 14. Landwirtschaftliche Woche im Januar 1981 ist wieder am Puls der Zeit: bevor der „Ball der Landwirtschaft“ auf die Tanzfläche lockt, Wilke und Dr. Billow über „Landwirtschaft in den 80er Jahren – Chancen und Risiken“ und „Erholung und Fremdenverkehr auf dem Lande – Segen oder Belastung?“. Helmut Michel betont die Eigenheit des Standortes: Wehrheim ist eine Gemeinde, die trotz dem starken Siedlungsdruck aus dem Rhein-Main-Ballungsraum ihren ländlichen Charakter wahren konnte. Unsere Landwirte betreiben eine intensive Landwirtschaft, die insbesondere durch die Rotbuntzucht und auch durch die Struktur ihrer Betriebe über die Ortsgrenzen einen Namen hat.

Als Abordnung der Gemeinde gestaltet die Landjugend im Jahr darauf den Wehrheimer Stand auf der Grünen Woche in Berlin. Mit achtzig Personen ist man vor Ort, darunter Landfrauen, Blasmusik und Volkstanz. Tanz und Sang zieren auch das Erntedankfest im Palmengarten zu Frankfurt.

Alle Mitglieder des Volkstanzes sowie der Musikschule Werner sind im September am Stadttor versammelt und präsentieren das „Mühlrad“: das ZDF hat sich mit einem Filmteam angemeldet und macht ein Porträt der Gruppe, welches sonntags ausgestrahlt wird.
Weiterhin tanzen sich die Wehrheimer durch die Welt beispielsweise im Som mer 1983 beim Harz-Heide-Hessen-Festival in Hermannsburg
Und die Welt tanzt durch Wehrheim beispielsweise während des 5. Internationalen Festes vom 13. bis 20. August 1984.

Unter dem Motto „Internationale Begegnungen unser Beitrag für den Frieden“ wird seit Monaten geworben, und Helmut Michel vertieft das Thema: Die Welt kehrt zur Einfachheit und besonderer Schönheit der Volkskunst zurück. Der vom eintönigen Rhythmus der vereinheitlichten Modernität ermüdete Mensch entdeckt in der Folklore Traditionen, Kontinuität, Eigenart und Vielfalt seiner Kultur. Der Kultur, die in jedem Volk durch seine Geschichte, durch unterschiedliche politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen geprägt wird.

Ihren besonderen Beitrag leisten, wie immer, die Gäste: „När-Lau“ aus Gotland, „Vogonar“ aus Poprad/ CSSR, der „Schlitzerländer Trachtenkreis“, „Wislok“ aus Polen, „Mary O`Connor Group“ aus Irland, „Le Quadrille Occitan“ aus Frankreich, das Ensemble aus Werischwar/Ungarn. Wieder bietet man ihnen ein reichhaltiges Wochenprogramm (Empfang beim Landrat in Bad Homburg, ein Tanz- und Spielabend, Besuche in Hessenpark und Frankfurt/Main, ein internationales Preisschießen im Schützenhaus, Festgottesdienst und Familienabend), dem Grundsatz entsprechend: In der Woche bieten wir den Gästen etwas, am Wochenende bieten sie uns etwas.

Die Wehrheimer Volkstanzgruppe nutzt ihren Auftritt, um die neue Frauentracht vorzustellen. Sie entspricht einer in Friedrichsthal gefundenen Sonntagstracht, die um die Zeit von 1900 getragen wurde.

 

 

Zum erstenmal kann man auf ein Gewand zurück greifen, welches aus dem heimischen Raum stammt. Drei verschiedene Trachten sind nun im Gebrauch: eine nach dem Schnitt von 1800, eine von 1850 sowie die 1900er. Der Abend des traditionellen Frühschoppentages wird zu einer rauschenden Abschiedsdarstellung und bestätigt damit den idealen zeitlichen Rahmen, von dem Helmut Michel sagt: Es ist wichtig, das Fest in voller Länge zu feiern von Montag bis Montag. Nur so kann man sich kennen lernen, sich gegenseitig die nötige Aufmerksamkeit widmen, sich Zeit lassen für Hören, Sehen und Sprechen.

 

Der erste wichtige Termin von 1985 sorgt für einen Paukenschlag: während der Feier zum 30jährigen Jubiläum am 2. März im Bürgerhaus übergibt Helmut Michel auf eigenen Wunsch den Vorsitz an Martin Röske. Nach den 27-Michel-Jahren soll die Leitung in junge Hände gelegt werden. Und Martin Röske, seit langem schon in Volkstanz und Theaterabteilung aktiv, ist dafür prädestiniert mit Wissen um den Gesamtverein, mit Charisma und Volksnähe.

Helmut Michel wird für seine Verdienste mit der Goldenen Ehrennadel der Hessischen Landjugend ausgezeichnet. Er übergibt zugleich den Höchststand an Mitgliedern: die Zahl von 625 Personen wird nie mehr übertroffen. Über Jahrzehnte stellen die Wehrheimer die stärkste Einzelgruppe im Landesverband. Es sind die Blütenjahre. Mit gutem Gewissen darf behauptet werden, dass die Landjugend in Helmut Michel ihre wichtigste Kraft hatte. Er hat die Gruppe ausgerichtet und geformt, die Festivals sind weitgehend sein Verdienst bis ins Jahr 2005 wirken seine Ideen, sein Vorbild. Für die Heimatgemeinde hat die Landjugend in den Be reichen Kultur/Bildung/Demokratie wichtige Vorarbeit geleistet. Und dabei noch aufs Schönste verstanden, Tradition und Fortschritt zu verbinden.

Der neue Vorstand setzt sich zusammen aus Martin Röske, Matthias Stracke, Hartmut Allendörfer, Helmut Michel, Norbert Hartmann, Jutta Heinzel, Manfred Jung, Olaf Velte, Brigitte Hohmann, Simone Berndt, Günter Bohris, Gerhard Dollinger, Jochen Sommer, Roman Becker, Carmen Velte und Iris Himmelreich.

Im Juni kann, auf Einladung des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes, ein reichhaltiges Programm auf dem Marktplatz zu Bonn geboten werden. Als Abgesandte der Hessischen Landjugend überreichen die Volkstänzer im Oktober die Erntekrone an den hessischen Landwirt-schaftsminister Görlach.

1986 meldet sich die Theatergruppe wieder zurück. Nach langen Jahren ohne feste Kernmannschaft kann im März endlich wieder ein abendfüllendes Stück realisiert werden: an zwei Abenden geht „Die Gosch, Bub!“ über die Bühne des Bürgerhauses. Theater gehört fortan fest ins Jahresprogramm, jeweils im Frühjahr stehen Schwänke und Possen auf dem Spielplan. Die erste Ungarnfahrt findet im April statt. Werischwar ist das Ziel, wo die befreundete Gruppe besucht und ein Programm aus Tanz, Musik und Theater dargeboten wird.

Schon im nächsten Jahr steuert die Wehrheimer Gruppe erneut die ungarische Gemeinde an, wieder bleiben unver-geßliche Momente in der Erinnerung. Im März 1987 gründet sich die Kindervolkstanzgruppe, in der die Jüngsten unter Anleitung von Carmen Velte und Ulrike Fey an Tanz und Tradition heran geführt werden. Acht erwachsene Tanzpaare und vier Musiker gastieren Anfang Oktober in der Villa Hammerschmidt, wo sie die Erntekrone an Bundespräsident von Weizsäcker überreichen. Nur einen Tag später steht schon das heimische Erntedankfest ins Haus: dabei treten die befreundeten Gruppen aus Besse/Kassel, Gotland/Schweden und Werischwar/Ungarn auf.

Nach dem sonntäglichen Dankgottesdienst tanzt ein Ensemble aus Israel auf dem Rathausplatz.

Auch die Tanzsportler haben Grund zu feiern: im März 1988 begehen sie ihr zehnjähriges Jubiläum mit einer Festwoche. Eine weitere Festwoche ereignet sich vom 18. bis zum 25. Juli das 6. Folklorefestival führt Nordamerikaner aus Rexburg/Idaho, Ungarn aus Werischwar, Deutsche aus Gifhorn, Schweizer aus Bulle, Mexikaner, Finnen aus Mietoinen und Portugiesen aus der Provinz Ribatejo nach Wehrheim. Zum letzten Mal sind die Landjugend und der Schützenverein „Diana“ alleinige Ausrichter. Nicht nur Bürgermeister Aribert Oehm dankt denvielen namenlosen Helfern in der Zeit der Vorbereitung und Durchführung. Diesmal werden die Gäste am Bürgerhaus willkommen geheißen in den Jahren vorher war stets das Gasthaus „Zur Linde“ die erste Adresse am Ankunftstag. Wohl gefüllt, wie immer, sind die einzelnen Tage der Woche, hin strebend zum Sonntag, an dem Punkt 13 Uhr der große Festzug seinen Lauf nimmt: vom Obernhainer Weg durch Bahnhofstraße, Stadttor, Hauptstraße, Pfaffenwiesbacher, Schießmauer, Usinger- und Oranienstraße zum Festplatz Wiesenau.

 Eine neue Tracht schmückt die Herren der Landjugend: lange Hosen, Hosenträger und Weste – wie es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Taunus üblich war. Während des letzten Abends treffen sich ungarische und deutsche Musiker zum gemeinsamen Abschiedskonzert.

Die Städtefahrt von 1989 führt die Mitglieder nach Hamburg. Man reist mit dem Schnellzug. Im September endet das Erntedankfest in seiner herkömmlichen Gestalt seit 1955 regelmäßig als abendliche Tanz- und Theater-Veranstaltung begangen, nicht selten mit ausländischen Gastgruppen, entspricht es nicht mehr dem Zeitgeist. Die Besucher bleiben aus. Die Landjugend feiert Erntedank auf dem Hof der Familie Himmelreich.

Um 9 Uhr am 29. September 1990 ist die Geburtsstunde des Erntedankmarktes zu Wehrheim. Bis zum Nachmittag präsentiert sich der Bauernmarkt mit Kinderfest auf dem Rathausplatz. Für volkstümliche Unterhaltung sorgt die Tanzgruppe aus Varel/Friesland. Im Jahr darauf bricht die Moderne über die Geschäftsstelle herein: Computer und Drucker sollen die Verwaltungsaufgaben erleichtern. Während der „Wehrheimer Woche“ treten die Volkstänzer aus Werischwar tanzend und singend auf.

Die Volkstanzgruppe der Landjugend, seit vielen Jahren das Flaggschiff des Vereins, aber geht schweren Zeiten entgegen zu viele Paare sind ausgeschieden und vorerst nicht zu ersetzen, das eingespielte Team bricht auseinander. Arwed Bettner, ein ausgebildeter Übungsleiter, übernimmt 1993 das Training und soll eine neue Gruppe aufbauen.

Vom 14. bis zum 19. Juli erstreckt sich das 7. Internationale Folklorefestival. Neue Partner haben sich gefunden und treten gemeinsam als Veranstalter auf: neben Landjugend und Schützenverein noch die Handball-Spielgemeinschaft Wehrheim/Obernhain und die Chorvereinigung „Frohsinn“ aus Pfaffenwiesbach. Helmut Michel, nun Bürgermeister der Großgemeinde, betont die hohen Ziele in seinem Grußwort: Toleranz und Verständnis für die Lebensweise und Kultur anderer Völker und Nationen bleiben das Gebot unserer Zeit. Dem Ruf in den Taunus folgen die Spanier aus dem altkastilischen Burgos (und bringen Kastagnetten, Schwerter und Stöcke auf die Bühne), die Esten aus Tallinn (mit dem Zauber des Baltikums), die Ungarn aus Gyöngyös (im Feuer alt-ungarischer Tänze und Lieder), die Kosaken aus Saporoschje in der Ukraine (urwüchsig kraftvoll lassen sie eine ferne Welt erstehen), die Nordamerikaner aus Woodbury/Tennessee (mit Banjo, Fiedel und Hand Clapping ins Dorfleben der Appalachen), die Slowaken aus Poprad (herrlich wie die Landschaften der Hohen Tatra), die Niedersachsen aus Gifhorn (präsentieren historische Trachten und Sitten des Lüneburger Landes). Nachdem Be-grüßungsabend in der Lochmühle und Lichterfest auf dem Oberloh abgehalten sind, nachdem Böller verklungen und Hymnen gesungen sind, zeigen die Gastgruppen ihre Programme am Festwochenende. Keiner, der im Festzelt zugegen ist, bleibt davon unberührt der Applaus will nicht enden, die Montagnacht. Gäste und Gastgeber und Publikum singen gemeinsam:

 

Nehmt Abschied, Brüder, ungewiß

ist alle Wiederkehr,

die Zukunft liegt in Finsternis

und macht das Herz uns schwer.

Der Himmel wölbt sich übers Land,

ade, auf Wiedersehn!

Wir ruhen all in Gottes Hand,

lebt wohl, auf Wiedersehn!

Im September ist der Erntedankmarkt ein Teil der „Wehrheimer Woche“ und garniert sich mit spanischer Volksmusik, einer Bauchtänzerin und einem Spanferkel. Zugleich feiert die Gemeinde das 750jährige Bestehen des Kloster Thron mit einem abwechslungsreichen Programm. Unter Mithilfe von Dr. Johanna Koppenhöfer führt die Theatergruppe in großer Besetzung eine Szenenfolge über die Geschichte des Klosters auf Ort der Darbietung ist Rathausplatz nebst Kirchenaufgang. Es ist eines der selbst geschriebenen Stücke zur heimischen Historie, die neben dem normalen Spielbetrieb erarbeitet und dargestellt werden.

Der Vorsitzende Martin Röske legt am 2. März 1994 sein Amt nieder, und Claudia Löhr erklimmt für ein Jahr den Chefsessel. Rund 600 Mitglieder gehören zur Landjugend, davon sind nur noch ein Drittel der jugendlichen Altersklasse zuzurechnen. Die meisten Gefolgsleute der frühen Jahre altern mit der Gruppe, jüngere Generationen haben längst andere Freizeitbeschäftigungen entdeckt.

Das Erbe von Claudia Löhr treten 1995 Carmen Velte-Hammen und Norbert Hartmann an, beide sind bereits lange Jahre aktiv und kennen die Landjugend in- und auswendig. Nach dem Vorbild der Deutschen Landjugend sind sie als Vorsitzende gleichberechtigt. Der Juni bringt die Wiederkehr alten Brauchtums: die Sonnenwende wird auf dem Wehrheimer Bügel mit loderndem Feuer und heißer Musik gefeiert. Rund fünfzig Besucher sitzen im Zelt bei Wurst & Bier und genießen den Blick auf das nächtliche Dorf. Als zehntes abendfüllendes Stück der Theatergruppe genießen die Zuschauer „Moral“ von Ludwig Thoma. An fünf Abenden wird die doppelbödige Komödie im Bürgerhaus dargeboten. Zusammen mit dem Amateurtheater Wehrheim gründet die Landjugend eine Kindertheatergruppe.

Zum 40. Mal jährt sich der Gründungstag ein Termin, der begangen sein will. Auf der Jubelveranstaltung gibt es nach Sektempfang und Foto-Ausstellung die Darbietungen der belgischen Tanzgruppe aus Schoten sowie die Folklore von „Zwiazek Mlodziezy“ aus Polen. Die heimischen Tanzsportler zelebrieren Tango, Erntekrone und Volkstänze werden gezeigt, Gedichte sind zu hören. Kurz vor Mitternacht erklimmen Theaterleute der ersten Stunde die Bühne, kostümiert und von Altmeister Gottlieb Müller geschminkt: Die Nachricht, dass Helmut Michel zusammen mit Edwin Seng, Arnold Velte, Albert Allendörfer, Gerhard und Hildegard Bender sowie Edith Erker am Abend auftreten würde, hatte sich nachmittags auf dem Erntedankmarkt wie ein Lauffeuer verbreitet, berichtet die Frankfurter Rundschau. Zu ihrem Jubiläums-Comeback spielen sie das zweite Bild aus dem „Datterich“.

1996 bestimmt ein Großereignis das Gemeindeleben: Wehrheim ist 950 Jahre alt. Auch die Landjugend beteiligt sich nach Kräften. Am 14. Juli, im vollsten Sonnenschein, schlängelt sich der historische Umzug durch die Straßen und Gassen. Die Mitglieder verkaufen Eis, fahren ein Kuhgespann mit Leiterwagen und treten als „frühere Gemeindeämter“ auf gekleidet und ausgestattet als Gemeindediener, Waldfrauen, Flurschütz, Hebamme, Nachtwächter, Totengräber, Feldgericht. Auch der mittlerweile 6. Erntedankmarkt erscheint im historischen Gewand Minnesänger zaubern das Mittelalter herbei, und Luftgaukler erklimmen den Kirchturm. Ins Jahr 1803 entführt die Theatergruppe mit ihrem Einakter „Ein Fürst kommt!“, in dem das Wehrheimer Volk die Ankunft des Landesvaters erwartet. Im Usinger Anzeiger steht zu lesen: Erstmals sah man eine Kutsche auf der hiesigen Bühne, nur auf den Einsatz eines echten Pferdes wurde an diesem Abend verzichtet.

Eine Delegation reist nach Belgien, wo man die befreundete Gruppe aus Schoten besucht. Am 3. November stellen zwei Volkstanzpaare die heimische Tracht beim Hessischen Vereinigung für Tanz- und Trachtenpflege (HVT) vor die Landjugend wird als neues Mitglied aufgenommen.

Die Jahreshauptversammlung von 1997 beschließt, die Großgruppe in das Vereinsregister eintragen zu lassen. Nun heißt es „Landjugend Wehrheim 1955 e.V.“. Carmen Velte-Hammen und Norbert Hartmann werden von der Gemeinde für ihre Verdienste um den jährlichen Erntedankmarkt geehrt. Seit fünfundzwanzig Jahren besteht die Vogel- und Naturschutzgruppe, die verdientermaßen eine Woche lang das Jubiläum feiert.
Mittlerweile hat sich die Theater-Abteilung verdoppelt: die „Theatergruppe“ widmet sich Schwänken, Possen und Lustspielen, während die „Spielbühne“ das klassisch-moderne Terrain beackert. Schon im Vorjahr konnten zwei Stücke angeboten werden: Heinrich von Kleist`s „Der zerbrochne Krug“ von der Spielbühne sowie „Die unglaubliche Geschichte vom gestohlenen Stinkkäs“ von der Theatergruppe.

Jetzt ist es amtlich. Die Satzung wird genehmigt, und die Landjugend Wehrheim ist mit Datum 18. Juni 1998 ein eingetragener Verein. Da kommt das 8. Internationale Festival gerade recht von 5. bis 10. August dauern die aufregend-fröhlichen Tage. Bürgermeister und Hauptausschuß-vorsitzender Helmut Michel spricht zur Eröffnung und äußert sich kritisch zur Weltpolitik: Es ist eine gute Kultur, wenn wir es fertig bringen, in unserer Gesellschaft die Menschlichkeit vor das reine Profitdenken zu stellen. Auch Schirmherr Ernst Welteke sieht das Treffen verschiedener Nationalitäten als Chance: Dies ist am Ende eines Jahrhunderts mit zahlreichen Kriegen, die immer noch nicht beendet sind, auf dem europäischen Kontinent ein Zeichen der Hoffnung. Seit nunmehr achtundzwanzig Jahren ist die Folklorewoche eine stabile Größe im hiesigen Kulturleben – und keiner ahnt im August 1998, daß er Zeuge des letzten Festivals dieser Art wird. Vor der Kraftanstrengung, ein solches Unternehmen zu organisieren, werden in Zukunft alle zurückschrecken.

Dieses Mal haben sich die Fußballer der TSG, die Handball-Spielgemeinschaft Wehrheim/Obernhain und die Landjugend zur Durchführung zusammen geschlossen. Nachdem in der Mittwochnacht dem Zeitgeist mit einer „Beach-Party“ im Freibad gehuldigt wird, erobern ab Freitag die eingeladenen Gastgruppen die Bühne: „Pampa y Senda“ aus Cordoba in Argentinien, „Hatis“ aus der Region Kotaik in Armenien, „Die fröhlichen Harzgebirgler“ aus Seesen in Deutschland, „Stratcarron Group“ aus Stirlingshire in Schottland, das Ensemble aus Bohinj in Slowenien, „Itsai“ aus dem Baskenland in Spanien, das Blasorchester aus Werischwar in Ungarn. Wieder ist es die richtige Mischung, um das Festzelt zum Beben zu bringen. Bereits zum Lichterfest auf dem Oberloh taucht der Vollmond die Veranstaltung in ein verzaubertes, unvergeßliches Licht. Im Rückblick erinnert sich Norbert Hartmann: Mittlerweile waren 28 Nationen bei 8 Folklorefestivals in Wehrheim zu Gast. Der Gedanke, mit Spaß an Folklore, Völkerverständigung, internationale Toleranz und kulturelle Weltoffenheit zu erzeugen, ging voll und ganz auf.

Unter dem Ähren-Banner der Landjugend versammeln sich 550 Mitglieder.

In den folgenden Jahren wird der Vorstand wiederholt versuchen, die einheimischen Jugendlichen für den Verein zu interessieren und zur Mitarbeit zu gewinnen. Es bleibt ein schwieriges Unterfangen. Geändert hat sich die gesamte Struktur der Vereine in unserem Land – und so auch die der Landjugend. Hatten wir früher neben uns noch die TSG mit ihren verschiedene Abteilungen, die Feuerwehr und den Gesangverein, so sind es mittlerweile 42 Wehrheimer Vereine, die gemäß ihren Interessen ein Angebot zur Mitarbeit bieten. Dazu kommt noch ein höheres Freizeitangebot durch Medien, Freizeitparks und vielem mehr, so Vorsitzender Norbert Hartmann. Für die Zukunft könnte gelten: Volkstanz, Brauchtumspflege, Theater und offene Jugendarbeit sind die Schwerpunkte, auf die sich die Landjugend konzentrieren sollte. Wie immer heißt „Motivation“ das Zauberwort. Jedem ist klar, daß neben den traditionellen Tänzen auch Bauchtanz und Hiphop-Beats angeboten werden müssen. Der „Erntedank“ muß hinaus auf die Straßen und Plätze des Dorfes, auf den „Feldrundfahrten“ will man die Bürger mit den landwirtschaftlichen Gepflogenheiten vertraut machen. Während die agrarischen Wurzeln mehr und mehr abhanden kommen, muß auch die Landjugend sich den Bedürfnissen einer Industrie- und Dienstleistungs-Gesellschaft stellen.

Im Frühjahr 1999 bringt die „Spielbühne“ das monströse Luststück „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe zur Aufführung. Da kommt der Teufel auf die Erde, weil in der Hölle gescheuert wird. Noch einmal sind alle Haudegen der Gruppe versammelt: Martin Röske, Martin und Stephan Mayer, Martin Noz, Michael Sommer.

Ein Jahr später gehen Landjugend und Vogelschützer getrennte Wege. Seit der Gründung im Jahre 1972 ist die Vogel- und Naturschutzgruppe eine feste Größe im Verein, jedoch wird sie 1982 Mitglied beim NABU und organisiert sich selbst. Zuletzt haben nur noch die Kinder und Jugendlichen eine Bindung zur Landjugend. Die Volkstanzgruppe fährt im Winter 2000 zu den Folklore-Freunden nach Speckswinkel. Zum Aktionstag „Landwirtschaft“ der Wehrheimer Limes-Schule übergibt die Landwirtschaftliche Abteilung sechzig Bücher an die Schulbibliothek. Eine „Naturwoche“ kann im Juni abgehalten werden, und im Oktober weilen die Volkstanzpaare aus Varel im Taunus.

„Leonce und Lena“ von Georg Büchner leitet das erste Jahr des neuen Jahrhunderts ein erstmals tritt eine junge Generation von Darstellern vor das Publikum. Es folgen Gastspiele im Kellertheater Frankfurt und in der Waggonhalle Marburg. Eine Einladung zu den „Hanauer Theatertagen“ beschließt das aufregende „Spielbühnen“-Jahr.

Der Erntedankmarkt 2001 bringt die beiden damaligen Bürgermeisterkandidaten an die Dreschflegel: wer wird am schnellsten die Spreu vom Weizen trennen? Jedenfalls führt der Herbstausflug die Vereinsmitglieder nach Trier, wo der gute Wein und die schöne Mosel warten. Der Oktober sieht die maßgeblichen Landjugend`ler in der Kapersburghütte zur Klausurtagung, es geht um die Themen „Aktivierung der Mitglieder zur Vereinsarbeit“ und „Folklorefest“. Anschließend startet man eine Mitgliederbefragung, um ungenutztes Potential in die Vereinsarbeit zu integrieren.

Endlich weltweit! Ab dem Februar 2002 darf jedermann die Landjugend im Internet besuchen: www.Landjugend-Wehrheim.de. Verantwortlich dafür sind Wolfgang Patommel und Michael Muders. „15 Jahre Kindervolkstanz“ heißt es im April. Zum Jubiläum zeigen vierzig Kinder im Bürgerhaus „Eine bunte Reise durch verschiedene Länder“. Am Programm beteiligen sich auch zwei befreundete Kindertanzgruppen. Für besondere Leistungen werden die beiden Leiterinnen Ulrike Fey und Carmen Velte-Hammen mit der Goldenen Ehrennadel der Landjugend Wehrheim ausgezeichnet.

Die mittlerweile obligatorische Sonnwendfeier wird am 22. Juni von der Band „Strinx“ gerockt. Ein Bus voller Kinder rollt im August zum Kinderkanal „KIKA“ nach Erfurt. Der Rundgang durch die Studios wird von der Teilnahme an einer Fernsehshow gekrönt. Und wieder etwas Neues zum Erntedankmarkt: beim „Grand Prix der dicksten Kartoffel“ dürfen Garten- und Ackerbesteller ihren schwersten Erdapfel auf die Waage legen. Am Ende sind 705 Gramm nicht zu überbieten.

Groß ist die Stimmung am Abend des 24. November. Landjugend und Trachtengruppe Lustenau gestalten ein Folklore-Programm im Bürgerhaus. Die Vorarlberger bieten neben ihrer Volkskultur noch Melodien von Strauß, wobei das Orchester und der gemischte Chor starke Akzente setzen. Toni Hämmerle beschließt den Abend mit Kunststücken an der Zither.

Seit April 2003 arbeitet Anja Bettner mit der Tanz AG für Kinder und Jugendliche – abwechslungsreiche Angebote sollen über Jahre für Motivation sorgen. Ein Gegenbesuch führt die Wehrheimer im Mai nach Lustenau in Österreich. Die Jugend tobt sich zu Beginn des Sommers am Edersee aus: Surfen steht auf dem Programm. Beim Kindervolkstanz widmet man sich derweil auch Showtänzen.

Der Hochtaunuskreis möchte Stadt- und Landbewohner einander näher bringen „Stadt und Land Hand in Hand“ nennt sich die zweitägige Veranstaltung im Juni, auf welcher auch die Landjugend präsent ist. Zur Belohnung reisen die Mitglieder auf ihrer Herbstfahrt nach Köln ins Schokoladen-Museum.

Ernste Gesichter zu Beginn des Jahres 2004: es findet sich kein Verein, der gemeinsam mit der Landjugend das künftige Folklorefest organisieren will.

Die Sonnenwende findet, wie in jedem Jahr, statt, und „Die sechs Besessenen“ musizieren leibhaftig. Jahr um Jahr pilgern dazu mehr Besucher auf den Bügel. In der Kindertanz AG werden nun auch orientalische Tänze einstudiert. Jubel und Beifall belohnen die Auftritte des Nachwuchses bei Erntedankmarkt und Bauernball.

Am 3. März 2005 feiert die Landjugend, auf den Tag genau, ihr 50jähriges Bestehen während der Jahreshauptver-sammlung. Nach dem Sektempfang können dreizehn Gründungsmitglieder begrüßt und geehrt werden.